Veröffentlichung: RWZ, 9/2019
Autoren: Bartl/Patloch-Kofler
Die aktuelle Kapitalmarktsituation zeigt ein Niedrigzinsniveau mit weitgehend negativen Renditen von risikolosen Wertpapieren, welches vor allem hinsichtlich der Ableitung des risikolosen Zinssatzes in der Unternehmensbewertung problematisch ist. Ursache dafür sind die Markterwartungen und teilweise auch Marktverzerrungen, verursacht durch die Zentralbanken, insbesondere durch die EZB und ihre Maßnahmen i.Z.m. dem Quantitative-Easing-Programm. Die Ableitung von Bestandteilen des CAPM sind daher derzeit kritisch zu beurteilen und hinsichtlich der aktuellen Situation zu würdigen. Abhilfe kann durch die Anwendung eines Mindest-Basiszinses > 0% geschaffen werden.
Der risikolose Zinssatz ( f) ist ein entscheidender Parameter in der Unternehmensbewertung. Er fließt über das Capital-Asset-Pricing-Modell (CAPM) in die Kapitalkostenbestimmung sowohl als risikoloser Basiszins als auch bei der Bestimmung der Marktrisikoprämie ein. Abgeleitet wird er idR aus Renditen deutscher Bundesanleihen, da diese aufgrund der Bonität Deutschlands aktuell als nahezu risikolose Wertpapiere eingestuft werden. Derzeit ist am Anleihenmarkt eine außergewöhnliche Marktsituation beobachtbar: Der Kapitalmarkt ist geprägt von sehr niedrigen, teils negativen Zinsen.1 Anfang August 2019 ist erstmals in der Geschichte der Deutschen Bundesrepublik die Spot-Rate der Bundesanleihe mit 30-jähriger Laufzeit in den negativen Bereich gerutscht. Am 21.8.2019 wurde zum ersten Mal eine 30-jährige Anleihe ohne Kuponzins auf den Markt gebracht.
Während Ursachen des Niedrigzinses vielzählig sind, stellt sich auch in der Unternehmensbewertung die berechtigte Frage, wie vor allem mit einem negativen risikolosen Basiszins umzugehen ist und wie die technische Umsetzung von negativen Zinsen erfolgen sollte. Denn ein negativer Zinssatz bedeutet, dass künftige Cashflows mehr wert sind als Cashflows in der Gegenwart, was aus einer ökonomischen Perspektive kaum haltbar sein dürfte und vor allem in der Bewertung von Unternehmen problematisch ist. Die Verwendung von negativen Zinssätzen bei der Berechnung des Wertbeitrags der Ewigen Rente ist darüber hinaus technisch schwierig. Außerdem führt ein negativer risikoloser Zinssatz zum Paradoxon einer Marktrisikoprämie, welche die Rendite des Marktportfolios übersteigt. Daher sinkt der Unternehmenswert bei überproportional risikobehafteten Unternehmen aufgrund der Niedrigzinsen bzw der hohen Marktrisikoprämien deutlich.
In der Unternehmensbewertung mittels Discounted-Cashflow-Verfahren ist der Kalkulationszinssatz die Zielrendite und ein Vergleichsmaßstab für die aus dem Unternehmen zu erwartenden Renditen, die in Form von Ausschüttungen an den Investor fließen. Ausgangspunkt des mehrstufigen Arbeitsganges zur Bestimmung des Kalkulationszinssatzes ist der risikolose Basiszins.2 Er ist ein Terminus technicus der Unternehmensbewertungslehre, dem insofern eine besondere Rolle zukommt, als er die zentrale Größe für die Berücksichtigung des Zeitwerts des Geldes darstellt, wohingegen die Risikoprämie das Risiko des zu bewertenden Unternehmens reflektiert.3
Nach herrschender Meinung der Bewertungsliteratur ist der risikolose Basiszins aus Staatsanleihen von Staaten mit bester Bonität abzuleiten.4 Solche Anleihen stellen im Allgemeinen die sicherste, verzinsliche Investitionsmöglichkeit dar, weshalb ihre Rendite auch als Mindestrendite einer jeden Investition erachtet werden kann.
Der Fachsenat für Betriebswirtschaft der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer bzw dessen Arbeitsgruppe Unternehmensbewertung empfiehlt im Fachgutachten KFS/BW 1 in Rz 104, dass der Basiszins "unter Berücksichtigung der Laufzeitäquivalenz zum zu bewertenden Unternehmen aus der zum Bewertungsstichtag gültigen Zinsstrukturkurve abzuleiten" ist. In der Empfehlung E 7 vom 28.11.2017 spricht sich der Fachsenat Betriebswirtschaft für den zukunftsorientierten Basiszins, abgeleitet von der Zinsstruktur deutscher Bundesanleihen mit Hilfe der Svensson-Formel, aus.
Bei dem von Svensson vorgeschlagenen Verfahren5 wird unterstellt, dass die Zinsstrukturkurve eine stetige Funktion der Zeit ist, die sich durch eine Funktionsgleichung beschreiben lässt.6 Bei der Ermittlung der Zinsstruktur des Basiszinses mithilfe der Svensson-Formel wird idR auf die Zinsstrukturdaten der Deutschen Bundesbank zurückgegriffen. Es handelt sich dabei entsprechend dem Modell um die sechs Parameter b0, b1, b2, b3, t1 und t2, welche die Bundesbank börsentäglich zur Verfügung stellt:
Auf Basis dieser Formel ergibt sich eine Zinsstrukturkurve, die bspw für den 22.8.2019 folgendes Aussehen hat:
Abbildung 1: Zinsstrukturkurve per 4. 9. 20197
Wie Abbildung 1 zeigt, resultiert die Schätzung der risikolosen Zinssätze mittels Svensson-Formel i.d.R. in einer nichtflachen Zinskurve. Das bedeutet, dass für die Diskontierung sicherer Zahlungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedliche Zinssätze herangezogen werden.
Eine Grundannahme bei der Unternehmensbewertung ist eine unbegrenzte Lebensdauer des Unternehmens.8 Hierfür gibt es jedoch keine "laufzeitäquivalenten" Anleihen. In Ermangelung solcher "ewigen" Anleihen erscheint es naheliegend, sich auf die Rendite von Staatsanleihen mit sehr langen Restlaufzeiten zu stützen. Die maximale Laufzeit deutscher Bundesanleihen liegt in aller Regel bei 30 Jahren. Für die Anschlussverzinsung am Ende der Zinsstrukturkurve kann deshalb aus Vereinfachungsgründen die Spot-Rate mit einer Laufzeit von 30 Jahren als Näherung für einen im Zeitablauf konstanten Basiszins herangezogen werden.9
Aufgrund des ungewöhnlichen Marktumfelds verläuft die Zinskurve gegenwärtig über die ganze 30-jährige Laufzeit hinweg unter 0%, wie auch in Abbildung 1 ersichtlich. Daraus folgt, dass die Ermittlung geeigneter Zinssätze insbesondere für lange Laufzeiten aktuell genau analysiert werden sollte.10
Wird Geld verliehen oder in Anleihen investiert, sind es gemäß der Fisher-Gleichung 11 drei Komponenten, die in Form eines sog (intrinsischen) Marktzinses zusätzlich zum ursprünglichen Geldbetrag zurückgezahlt werden müssen. Erstens verlangt der Anleger den Realzins (rreal ), um den Konsumverzicht, der durch die Überlassung des Geldes eingegangen wird, zu kompensieren. Zweitens ist eine Geldentwertungsprämie für die Kompensation der Inflationsrate (rInflation ) notwendig12 und drittens ist in Abhängigkeit der Bonität des Schuldners eine zusätzliche Risikoprämie (rRisiko ) zu veranschlagen.13
Für Staatsanleihen mit höchster Bonität, wie sie bei deutschen Bundesanleihen unterstellt wird, liegt diese Risikoprämie (nahezu) bei null. Auf einem funktionierenden Kapitalmarkt werden diese individuellen Vorstellungen durch das Ergebnis des Marktmechanismus eingeebnet und die Höhe des Marktzinses über die Angebots-/Nachfrage-Funktion und Verschiebungen darin erklärt.
Über eine lange Laufzeit hinweg sollte der intrinsische Marktzins auf Basis der Fisher-Gleichung mit dem Ergebnis der Angebots-/Nachfrage-Funktion übereinstimmen. Bestehen Abweichungen, ist das ein Hinweis auf die Unvollkommenheit des Marktes.14 Als dominierenden Faktor für die Abweichung wird weitgehend die Politik der Zentralbanken erachtet: Der konventionelle Weg einer Zentralbank, den Zinssatz zu beeinflussen, ist über den Leitzins die Erwartung über zukünftige Inflation und das Wirtschaftswachstum zu signalisieren. Bedeutsamer hinsichtlich der Unvollkommenheit des Markts ist hingegen die zweite Möglichkeit einer Zentralbank, den Zinssatz zu steuern. Diese beruht darin, den Markt selbst zu betreten und so Angebot und Nachfrage am Anleihenmarkt direkt zu beeinflussen.
Durch ihr Quantitative-Easing-Programm im Rahmen der Finanzkrise schlug die EZB im Juli 2009 diesen Weg ein und begann zunächst, gesicherte Anleihen höchster Bonität anzukaufen. Durch die zusätzliche Liquidität am Markt sollte vor allem der Marktzins reduziert und sollten in Folge Finanzinstrumente verteuert werden, um Investitionen in die Realwirtschaft zu fördern. Das Ankaufprogramm von Anleihen wurde anschließend mehrmals neuaufgelegt und Anfang 2015 auch auf andere Titel, wie Staatsanleihen mit niedrigerem Rating und Unternehmensanleihen, ausgeweitet. Formal wurde das Programm 2018 beendet. Mittlerweile beträgt das Volumen der angekauften Anleihen im Eurosystem rund EUR 2,6 Bio. (siehe Abbildung 2, schattierter Bereich).
Abbildung 2: Zinsentwicklung im Vergleich zum Ankaufprogramm von Anleihen der EZB
Wie Abbildung 2 zeigt, reduziert das Quantitative-Easing-Programm aufgrund der erhöhten Nachfrage15 nach Anleihen das langfristige Zinsniveau deutscher Bundesanleihen. Abzüglich der korrespondierenden Inflationserwartungen ergibt sich dadurch in jüngster Vergangenheit ein negativer Realzins. Aktuell ist jedoch sogar der (nominale) risikolose Basiszins einer 30-jährigen deutschen Bundesanleihe bereits negativ und beträgt nur -0,1255 %.16 Durch diese Marktintervention der EZB am Anleihenmarkt ist eine bedeutsame Modellprämisse des CAPM, wonach Marktteilnehmer nicht mächtig genug sind, um eigenständig Marktpreise beeinflussen zu können, derzeit somit nur eingeschränkt gültig.17
Auch die Arbeitsgruppe Unternehmensbewertung des Fachsenats für Betriebswirtschaft kam bereits in einer Empfehlung von 2012 zu den Auswirkungen der Staatsschuldenkrise auf die Unternehmensbewertung zum Schluss, dass in einem Niedrigzinsumfeld die unreflektierte Übernahme des beobachtbaren risikolosen Basiszinses zu verzerrten Bewertungsergebnissen führen kann.18
Die Auswirkungen eines Niedrigzinses bzw mittlerweile negativen risikolosen Basiszinses zeigen sich auch in der Berechnung der Marktrisikoprämie. Die Marktrisikoprämie ist die Differenz aus der Rendite des Marktportfolios abzüglich des risikolosen Zinssatzes. Sie stellt die Renditeprämie auf den sicheren Basiszins dar, die ein Investor verlangen würde, wenn er in das Marktportfolio investiert.19
Nachfolgende Abbildung 3 zeigt trotz der Interventionen der EZB am Anleihenmarkt, dass sich die implizite Marktrendite auf Basis von Aktienkursen20 seit 2013 annähernd konstant bei ungefähr 8% bewegt und - entgegen den Erwartungen der EZB - das Quantitative-Easing-Programm bloß die Renditen für Anleihen reduzierte, riskante Finanzinstrumente jedoch nicht verteuerte. Der niedrige risikolose Zinssatz führte daher in den letzten Monaten zu einem Anstieg der impliziten Marktrisikoprämie.
Abbildung 3: Marktrisikoprämie21
Erhöht sich die Marktrisikoprämie aufgrund eines fallenden risikolosen Zinssatzes im CAPM, wirkt der Basiszins bei einem Unternehmen mit einem Beta-Faktor von 1 grundsätzlich ausgleichend dagegen, sodass sich der Unternehmenswert nicht ändert, wie in der nachstehenden CAPM-Formel ersichtlich ist.
Riskante Unternehmen unterliegen jedoch aufgrund des höheren Beta-Faktors (b > 1) überproportional der Auswirkung einer höheren Marktrisikoprämie. Daraus kann eine überdurchschnittliche Reduktion des Unternehmenswerts resultieren und fundamental ein nicht gerechtfertigtes Niveau erreichen.22
Ökonomisch nicht begründbar ist die Entwicklung der Marktrisikoprämie bei einem negativen risikolosen Zinssatz, wie er im aktuellen Marktumfeld existiert. Denn dadurch steigt die Marktrisikoprämie über die erwartete Rendite des Marktportfolios. Doch ein Investor sollte eigentlich für die fiktive Investition in genau dieses Marktportfolio durch die Risikoprämie abgegolten werden.
Neben den Implikationen, die ein Niedrigzins bzw. negativer Basiszins auf die Marktrisikoprämie hat, ist das aktuelle negative Zinsniveau hinsichtlich der Ewigen Rente im Terminal Value sowohl aus einer technischen als auch aus einer ökonomischen Sicht problematisch. Der Terminal Value hat als Aggregat sämtlicher Zahlungsströme nach der Detail- bzw Grobplanungsphase über eine unendliche Laufzeit hinweg einen hohen Anteil am Gesamtunternehmenswert.23 Dabei wird unterstellt, dass der nominelle Diskontierungssatz () über die unendliche Laufzeit konstant bleibt und die Cashflows mit einer konstanten Wachstumsrate () wachsen.24 Der Terminal Value ist nach folgender Formel zu berechnen:
Die Annahmen bezüglich des Diskontierungssatzes bzw. des darin enthaltenen Basiszinses sind deshalb ebenfalls kritisch zu würdigen.
Langfristig ist ein negativer risikoloser Basiszins, ökonomisch betrachtet, nicht nachhaltig. Denn gemäß der Fisher-Gleichung setzt dies voraus, dass zumindest entweder der Realzins oder die Inflationsrate zukünftig negativ sind. In der kurzen Frist ist dieser Zustand in Abhängigkeit der Marktsituation zwar möglich (wie auch Abbildung 2 zeigt), als Bestandteil der Ewigen Rente würde es jedoch bedeuten, dass - ungeachtet etwaiger Risikoanpassungen - der Kapitalwert einer Geldanlage gegen null konvergiert.25
In diesem Zusammenhang ist auch auf einen sinnvollen Einklang des (negativen) risikolosen Basiszinses mit der Wachstumsrate () im Terminal Value einzugehen. Denn vor allem in einer Nominalrechnung sollte bei einem negativen risikolosen Basiszins die Wachstumsrate (in Abhängigkeit des Geschäftsmodells) wohl negativ sein, insbesondere wenn die Inflationserwartung26 negativ in die Terminal-Value-Berechnung einfließt und konsistent dazu auch die Wachstumsannahmen der Cashflows negativ sind.
Aus einer (modell)technischen Perspektive ist die Kalkulation mit einem negativen Zinssatz ebenso zu hinterfragen. Eine Negativverzinsung würde bedeuten, dass einem zukünftigen Cashflow ein höherer Barwert beigemessen wird als einem Cashflow, der gegenwärtig ausbezahlt werden könnte. Anders ausgedrückt ist in diesem Fall der künftige Konsum wertvoller ist als der gegenwärtige. Auch in diesem Lichte ist deshalb ein negativer risikoloser Basiszins abzulehnen.
Aus diesem Grund kann ein risikoloser Basiszins </= 0% kein verstetigbarer Gleichgewichtszustand in einer marktwirtschaftlichen Marktverfassung sein, wobei auch die Teilkomponenten Realverzinsung und Inflation zumindest langfristig keine verstetigten negativen Werte aufweisen sollten bzw nur mit konsistenten negativen Wachstumsannahmen der Cashflows korrelieren können. Eine Kompensation dieser Effekte durch eine überhöhte Marktrisikoprämie ist nicht sachgerecht, da diese durch den individuellen Beta-Faktor in den Bewertungen in unterschiedlicher Höhe erfolgt. Hinsichtlich der aktuellen Kapitalmarktsituation erscheint es deshalb sachgemäß, sich mit einer möglichen Anpassung des risikolosen Basiszinses zu befassen. Hierbei empfiehlt sich die Beschränkung des risikolosen Basiszinses auf einen Bereich > 0%.
In der Modellwelt des CAPM stellt der Basiszins die sichere Anlage dar und ist von Staatsanleihen von Staaten mit bester Bonität abzuleiten. Nun ist der Basiszins bzw Marktzins deutscher Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 30 Jahren negativ. Es stellt sich daher die Frage, warum sich ein Investor überhaupt dafür entscheidet, in eine Anlage mit negativem Zinssatz zu investieren und das Investitionsvolumen nicht als Bargeldreserve zu lagern und somit einen Zinssatz von 0% zu realisieren.
Diesem Ansatz kann entgegengebracht werden, dass auch die Lagerung von Bargeldreserven mit Halte- und Risikokosten (bspw Diebstahlschutz) verbunden ist, was einer Negativverzinsung gleichkommt.27 Dieses Argument ist jedoch aufgrund einer Rechtsprechung des OGH für einen in Österreich ansässigen Investor nicht zwingend gültig. Denn in seiner Entscheidung vom 13.10.2009 hat der OGH der Revision der klagenden Partei Folge gegeben, wonach es unzulässig ist, Spareinlagen nicht oder negativ zu verzinsen. "Eine ‚Nullverzinsung‘ widerspricht den elementaren und gesetzlich angelegten Zwecken einer Spareinlage (Gewinn- und Vermögensbildungsfunktion) diametral."28
Dieses Urteil bezog sich wohlgemerkt auf Privatanleger. Institutionelle Investoren sind davon ausgenommen, sodass deren Einlagen grundsätzlich negativ verzinst werden können. Im Rahmen einer objektivierten Unternehmensbewertung ist die Perspektive einer Gruppe von Individuen mit bestimmten Merkmalen einzunehmen - die Sichtweise eines einzelnen Beteiligten ist hingegen irrelevant. Zu diesem Zwecke sind Typisierungen vorzunehmen.29 Ein wesentliches Merkmal bei der Typisierung ist die Prämisse, die Einflussmöglichkeit der einzelnen Unternehmenseigner auszuschließen, weshalb der Typus eines Anteilseigners jedenfalls weniger als 1% am zu bewertenden Unternehmen besitzt.30 Aufgrund dessen ist bei der objektivierten Bewertung von Unternehmen nicht zwangsweise von einem institutionellen Anleger auszugehen, sondern durchaus auch von einem Privatinvestor, der alternativ sein Geld auch als Spareinlage oder in Bundesschätzen31 mit Nullverzinsung anlegen könnte.
Zusammengefasst ist nicht die negative Rendite der deutschen Bundesanleihe die "Mindestrendite" einer Investition und der risikolose Basiszins in der Unternehmensbewertung, sondern die Nullverzinsung alternativer risikoloser Anlageformen, welche nach wie vor für den typisierten Investor bestehen. Vor diesem Hintergrund kann der Basiszins nicht negativ sein und ist mit > 0% anzusetzen.
Die Zinspolitik der Zentralbanken einerseits und das Quantitative-Easing-Programm der EZB andererseits führten in den vergangenen Jahren zu einem außergewöhnlichen Marktumfeld und dauerhaften Niedrigzinsen am Anleihenmarkt. Durch das intensive Ankaufprogramm von Anleihen hat das EZB die Marktpreise teilweise verändert und die Markterwartung beeinflusst. Dies führte zuletzt zu einem negativen risikolosen Basiszins. Dies führte zum ersten Mal überhaupt zu einer negativen 30-jährigen Spot Rate einer deutschen Bundesanleihe, die als Referenz für den risikolosen Basiszins dient. Hinsichtlich der Ableitung des risikolosen Basiszinses, der Berechnung der Marktrisikoprämie und der Berechnung des Terminal Value in der Unternehmensbewertung ist diese Kapitalmarktsituation problematisch.
Aus diesem Grund ist das Heranziehen deutscher Bundesanleihen zur Berechnung des risikolosen Basiszinses aktuell kritisch zu würdigen, weil es zu Verwerfungen in den Unternehmenswerten führen kann. Dabei ist vor allem die Anwendung eines negativen Basiszinses unabhängig des aktuellen Zinsumfeldes nicht empfehlenswert.
Ein Lösungsansatz besteht in der Beschränkung des Basiszinses auf > 0%. Dieser Eingriff würde unmittelbar an der Ursache des aktuellen "Bewertungsproblems" ansetzen, also der Verzerrung des Basiszinses durch die Politik der EZB.32 Aus Sicht eines österreichischen privaten Investors ist diese Variante begründbar, weil risikolose Alternativanlagen mit einer Verzinsung von null oder mehr Prozent noch existieren, z.B. Bundesschätze der Republik Österreich. Diese haben momentan eine Verzinsung von 0%.
Durch eine Beschränkung des risikolosen Basiszinses auf einen Wertebereich > 0% wird auch eine Marktrisikoprämie vermieden, die höher als die zu erwartende Rendite des Marktportfolios ist. Außerdem wird dadurch im Rahmen der Ermittlung eines Terminal Value die Verstetigung des ökonomisch nicht begründbaren Umstands verhindert, wonach künftige Cashflows sonst wertvoller wären als gegenwärtige Cashflows bzw. Geldwerte bei einer unendlichen Laufzeit gegen null konvergieren würden.
Durch die Anwendung eines angepassten risikolosen Basiszinses von > 0% kann somit u.E. den Verwerfungen des Anleihenmarktes angemessen entgegengewirkt und die bei einem negativen Basiszinses entstehenden Problematiken hinsichtlich der Bewertung vermieden werden.
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1 Laut Bloomberg gibt es weltweit aktuell Anleihen i.H.v. USD 13 Bio. mit negativen Renditen.
2 Bei der Ermittlung eines subjektiven Unternehmenswerts kann gem KFS/BW 1, Rz 113, anstelle eines kapitalmarktorientierten Kalkulationszinssatzes auch eine Zielrendite verwendetet werden.
3 Vgl Meitner/Streitferdt (2015)‚ Risikofreier Zins und Marktrisikoprämie, in Peemöller (Hg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung6 595.
4 Bspw Aschauer/Purtscher (2011), Einführung in die Unternehmensbewertung1; Wollny (2018), Der objektivierte Unternehmenswert3 457; Castedello (2018)‚ Methodik der Unternehmensbewertung, in IDW (Hrsg), WPH Edition - Bewertung und Transaktionsberatung Rz 377.
5 Vgl Svensson (1995), Estimating Forward Interest Rates with the Extended Nelson & Siegel Method, Riksbank Economic Review 3/1995, als Erweiterung zu Nelson/Siegel (1987), Parsimonious Modeling of Yield Curves, The Journal of Business 4/1987.
6 Vgl Meitner/Streitferdt (2015) 605.
7 Deutsche Bundesbank/BDO Research, am 22.8.2019.
8 Vgl. KFS/BW 1, Rz 63.
9 Vgl. Bertl (2018), Basiszins und Marktrisikoprämie, WPg 13/2018, 805 bzw. zuletzt auch Knoll/Kruschwitz/Löffler (2019), Der Basiszinssatz in der Unternehmensbewertung, RWZ 5/2019, 140.
10 Vgl. Kruschwitz (2018), Das Problem der Anschlussverzinsung, ZfbF 1-2/2018, 11.
11 Vgl. Fisher (1930), The Theory of Interest.
12 Vgl. Friedrichs (2001), Zinssätze in der Wertermittlung 62.
13 Vgl. Perridon/Steiner (2007), Finanzwirtschaft der Unternehmung14 173 ff.
14 Vgl. Damodaran (2016), Negative Interest Rates: Impossible, Unnatural or Just Unusual? auf: Musings on Markets.
15 Zusätzlich erhöhten Staatsschuldenkrisen einiger Länder weiter die Nachfrage nach hochqualitativen Titeln aufgrund der geringeren Anzahl potenzieller Emittenten; siehe dazu Meitner/Streitferdt (2015) 598.
16 Stand am 4.9.2019.
17 Zu den Modellprämissen siehe Sharpe (1964), Capital Asset Prices: A Theory of Market Equilibrium under Conditions of Risk, The Journal of Finance 3/1964.
18 Vgl. KFS/BW 1, E 2 "Fragen der Auswirkungen der Staatsschuldenkrise auf die Unternehmensbewertung", vom 18.6.2012.
19 Vgl. Meitner/Streitferdt (2015) 619 bzw. Aschauer (2016), Die implizite Marktrisikoprämie am österreichischen Kapitalmarkt, RWZ 6/2016, 195.
20 Gemessen anhand der Titel im Stoxx 600.
21 BDO Research, am 22. 8. 2019.
22 So auch Gleißner (2014), Die Marktrisikoprämie: stabil oder zeitabhängig? WPg 5/2014, 261. Gl 263, Bertram 70-80.
23 Eine Zahlenbeispiel in Bausch/Pape (2005), Ermittlung von Restwerten - eine vergleichende Gegenüberstellung von Ausstiegs- und Fortführungswerten, Finanz-Betrieb 7/2005, 474 f, zeigt den Anteil des Terminal Value am Gesamtunternehmenswert. So liegt der Anteil des Terminal Value bei einem Bewertungsmodell mit konstanter jährlicher Wachstumsrate von 2%, Kapitalkosten von 9% und einem fünfjährigen Detailplanungszeitraum bei rund 70%. Wird der Detailplanungszeitraum hingegen auf drei Jahre verkürzt, steigt der Anteil des Terminal Value ceteris paribus auf 80%. Je geringer demnach der Detailplanungszeitraum gewählt wird, umso höher ist der Anteil des Terminal Value.
24 Vgl. Mandl/Rabel (1997), Unternehmensbewertung - Eine praxisorientierte Einführung 156.
25 Vgl. Drukarczyk/Schüler (2015), Unternehmensbewertung7 153 f.
26 In der Literatur wird die Inflationsrate zumeist als plausibler Proxy für die Wachstumsrate erachtet; siehe dazu Stellbrink (2005)‚ Der Restwert in der Unternehmensbewertung, in Baetge/Kirsch (Hrsg), Schriften zum Revisionswesen 124.
27 So auch Damodaran (2016).
28 OGH 13. 10. 2009, 5 Ob 138/09v. Zwar spricht der OGH explizit vom Verbot einer "Nullverzinsung", was bedeutet, dass Spareinlagen jedenfalls (zumindest minimal) verzinst werden müssen. Vereinfacht kann jedoch davon ausgegangen werden, dass aufgrund zusätzlicher Gebühren, wie für die Kontoführung, die Niedrigverzinsung aufgebraucht wird und im Ergebnis eine Nullverzinsung vorliegt.
29 Vgl. Hüttemann (1998), Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 5/1998. So auch KFS/BW 1, Rz 16: "Der objektivierte Unternehmenswert wird unter typisierenden Annahmen mit Hilfe eines Diskontierungsverfahrens ermittelt."
30 Vgl. Wagner/Saur/Willershausen (2008), Zur Anwendung der Neuerungen der Unternehmensbewertungsgrundsätze des IDW S 1 i.d.F. 2008 in der Praxis, WPg 16/2008. Demnach ergibt sich diese Typisierung auf Basis des § 17 Abs. 1 Satz 1 dEStG, wonach ein Beteiligungsausmaß unter 1% unter die Wesentlichkeitsgrenze fällt.
31 Bundesschätze der Republik Österreich haben über die längste Laufzeit von 10 Jahren eine Verzinsung von 0,0% (Stand: 4.9.2019).
32 So auch Gleißner (2014) 264.